8/24/2013

Mauer ohne Durchlass


Gerade gestern wieder sagte man mir, dass man meine Zeichnungen, speziell die von Aldo Moro, nicht mag. "Ich verstehe ihn nicht" hiess es zur Erklärung und:  "Da ist so viel Traurigkeit in ihm, das weckt Abneigung."

Sowas macht mich wie immer ziemlich ratlos und traurig.

Und es entbehrt nicht einer gewissen, bitteren Ironie:
Auch dem historischen Aldo Moro wurde - und wird - vorgehalten, dass man ihn "nicht verstehen" könne.
Er hatte eine sehr abgehobene Sprache. Wunderschön und inspirierend, aber eben interpretationsbedürftig. Auch ich verstehe seine Aussagen oft eher über das Gefühl, als über die konkrete Semantik.

Verständnislosigkeit, damals und heute.

Es gibt einen uralten Schwarz-Weiss Film, wo Aldo eine Rede vor Parteigenossen hält. Tänzelnd, anmutig, beginnt er jeden Absatz mit "Io credo..." - Ich glaube - und dann folgt eine Reihe von kompliziert formulierten, visionären Allegorien. Die Kamera schwenkt auf die Zuhörer. Versteinerte Blicke. Ab und zu verdreht einer gelangweilt die Augen. Blicke voller Feindseligkeit.

Es ist nicht zu übersehen: Sie finden das was er sagt Scheisse. Und sie finden ihn Scheisse.

Zum Schluss verhaltener, artiger Applaus.

Ich frage mich, ob Aldo überhaupt merkt dass er keineswegs gut ankommt. Er lächelt. Aber dann, als er glaubt die Kamera sei nicht mehr auf ihn gerichtet: Ein Gesicht voller Kummer und Enttäuschung. Er weiss es.

Dass er es unter diesen Umständen überhaupt bis zum Premierminister gebracht hat, ist ein historisches Paradoxon, dass man nur dann einigermaßen einordnen kann, wenn man sich tief in die Materie einarbeitet und alle gesellschaftlichen, politischen und zeitgeschichtliche Fakten einbezieht.

Und selbst dann...


"Eine neue Seele...
Nicht nur um effizienter zu sein. Auch um tiefer verstehen zu können. 
Damit wir uns wahrhaftiger einbringen - nicht nur um rascher zu handeln, sondern um eines lebenslangen Engagements Willen."

- Aldo Moro -

John F. Kennedy als Muse: Er ist dynamisch, offen, geradlinig. Sagt was er will und ich mache es. Ihm ist es zwar nicht egal, wenn "unsere Geschichten" dann nicht ankommen, aber er steckt es weg. Will weitermachen. Wer aufgibt hat schon verloren sagt er.

Aldo ist da ganz anders. Scheu, zurückhaltend, immer noch traumatisiert. Mit Geduld und Zartheit auf Ihn zugehen. Dann plötzlich sprudelt ein Wasserfall an Gefühlen und Eindrücken. Intensiv, aber kaum fassbar, noch weniger kommunizierbar. "Mit der Seele sehen und mit dem Herzen lieben" sagt er. Ich lasse die Stifte in meiner Hand treiben, einfach nur von ihm leiten, flüstere: "ich will Deine Seele in warme Farben kleiden".

Da ist unglaublich viel Sanftmut, viel Zärtlichkeit. Ich versuche sie einzufangen. Es ist die Art von Schönheit, wie sie scheinbar kaum noch im Diesseits zu finden ist. In ihr liegen endlose Welten: würzige Sommerluft, Rosen, türkisfarbenes Meer und die Geheimnisse des Südens. Eigene Erinnerungen vermischen sich mit den seinen, es entsteht ein kraftvoller Morgen in einer versunkenen Zeit. Aber mit dabei sind auch immer; Wehmut, Abschied, Tränen und Schmerz. Enger Raum, Mauer, geschlossene Tür. Grausamkeit.

Das Unbekannte

Als ich nur JFK hatte, gelang es mir zumindest einen kleinen Teil von Menschen zu erreichen. Einige sagten mir "Ich interessiere mich nicht für Kennedy, aber durch Deine Geschichten und Zeichnungen wird er für mich interessant."
Bei Aldo ist dieses Phänomen bislang ausgeblieben. Ihm schlug ohne Ausnahme nur Ablehnung entgegen. Nichts von seiner Wärme springt auf andere über. Meine Zeichnungen scheinen als Medium nicht zu taugen.

Während der Gefangenschaft - den nahenden Gang zur Schlachtbank schon vor Augen - schrieb er in seinen Briefen immer wieder über das eigene Nicht-Verstehen: Warum wollten ihm seine "Freunde" nicht helfen? Warum behaupteten sie im Gegenteil, er sei verrückt, unter Drogen oder gehirngewaschen wenn er doch nur um sein Leben kämpfte?

Am Ende "tröstete" er sich mit der Vorstellung einer unverstehbaren, "göttlichen Strafe" für, Zitat: "die Adresse, der ich meinem Leben gegeben habe." 

Diese Fassungslosigkeit hat sich wie eine Singularität in der Zeit eingebrannt. Sie ist fester Bestandteil jedes Aldo Bildes, ob nun von mir oder anderen gezeichnet, oder ob Foto.

Manchmal denke ich, der Grund für die Abneigung der Menschen liegt in der unbewussten Angst vor diesem Entsetzen. Man will "damit" nichts zu tun haben.

Auf gewisse Weise ist er noch immer gefangen in dem Drecksloch der Brigate Rosse.
Ich würde so unendlich gerne diese Mauer zwischen ihm und den Menschen einreissen, sie an seiner schönen Seele teilhaben lassen, auf dass sie angesichts seines Unglücks nicht mit Abscheu, sondern mit Mitgefühl reagieren. Hand reichen, auf dass die Tränen versiegen und die Traurigkeit über den Verrat gemildert und der fassungslose Schrecken auf gewisse Weise rückgängig gemacht wird.

Aber:

"Alles ist sinnlos, wen man die Tür nicht öffnen will".

Aldo Moro

6 Kommentare:

  1. Liebe Diana, da ist es mal wieder, dieses Phänomen des lückenhaften Feedbacks, aus dem KünstlerInnen niemals ein Gesamtbild ableiten sollen, weil es das nun einmal nicht ist! Es gibt viele Leute, die - aus welchen Gründen auch immer -(noch)kein Feedback gegeben haben: weil ihnen die Worte fehlen, weil sie nicht dazu kamen, weil sie sich nicht trauen, weil sie gar nicht auf die Idee kommen, weil ...

    Ich zum Beispiel finde Deine Aldo-Bilder wunderbar. Er hat eine väterliche, beruhigende Ausstrahlung; es wundert mich überhaupt nicht, daß er ein Mensch mit großer Seelentiefe war.

    Schlussfolgerungen aus bruchstückhaftem Erleben können sehr schmerzhaft sein. Und sind unnötig. Im Zweifel einfach mal nachfragen, bei anderen, von denen Du noch kein Feedback hast. Und Du wirst sehen, wie sich Dein Gesamteindruck verändert. Zum Positiven. ;-)

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  2. Liebe Karan, Danke fuer die Aufmunterung. Aber besagtes feedback geschah bereits auf Nachfrage hin. Auf selbige kommt eigentlich immer diese Antwort, "zu traurig" , "zu andersartig" oder beides. bringt also alles nichts. Aber schoen zu wissen, dass Du diese Barriere nicht hast.

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  3. Ach ja, das hab ich auch schon erlebt, auf Nachfrage solche Kommentare zu bekommen. Und trotzdem sind sie nicht das ganze Bild.
    Aber das ist schwer zu sehen, in den Momenten, wo es weh tut, das Unverstandensein.
    (((umärmel)))

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  4. ich haette zb schon lange gerne mal gewusst, was Caroona von dem buch haelt, haette sie deswegen fast mal angemeilt, aber dafuer schaeme ich mich dann doch zu sehr und mittlerweile ist auch klar, dass es besser ist, sowas nicht herauszufordern, denn no feedback ist in aller Regel bad feedback. Und speziell in dem Fall mache ich nun durchgehend die Erfahrubg dass Aldo allen zu "fremdartig" ist, auch Leuten, denen meine Arbeit sonst gefaellt. also lass ich das ab jetzt mal lieber.

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  5. Huhu Diana, mir haben deine Aldo-Bilder gefallen, auch die Zärtlichkeit und Würde, mit der du einen älteren Mann auch nackt dargestellt hast, der nicht aussieht wie ein 20jähriges Unterhosenmodell.
    Ich denke, vielen ist die Geschichte zu fern. Bevor du davon geschrieben hast, hatte ich mich noch nie bewusst mit dem Fall beschäftigt, einfach weil ich mich wenig mit italienischer Innenpolitik dieser Zeit beschäftigt habe. Vielleicht geht das vielen ähnlich?

    Liebe Grüße
    Bodecea

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  6. Danke Bodeccea, wie Du das schon formuliert hast, das ist schön und tröstlich für mich.

    Ja, so eht es vielen, es ist zummindest eine oft genannte Begründung. Ich frage mich nur einfach immer weder: Sind diese Hintergrundkenntnisse wirklich nötig? Ich schreibe ja keine zeitgeschichtliche Politromane. Es geht um den Menschen, um das Schicksal.
    Ich muss wohl einen Weg finden, das ganze zugänglicher zu machen.

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