11/21/2013

22. November


50 Jahre ist es her und jetzt interessiert sich plotzlich wieder alle Welt für "ihn".

Irgendwo, jenseits der im unfreiwilligen Zusammenspiel von JFK-Gegnern und  JFK-Fans erschaffenen Kunstfigur, versteckt sich der wahre John F. Kennedy.
John F.  ist wie der Mond, den er so gerne erobern wollte: Er hat eine strahlend schöne, helle und eine dunkle, unbekannte Seite. Dazwischen liegen die ganzen Mondphasen. Jede steht für einen bestimmten Aspekt seines Wesens.
Ich möchte mich an dieser Stelle jenem Flecken Mond widmen, den er mit mir teilt: Der Kunst.
JFK als Politiker mag man unterschiedlich bewerten. Als Muse ist er unschlagbar! Ich bin nicht die einzige Künstlerin, die sich seit Jahrzehnten anhaltend von ihm inspiriert fühlt. Er dürfte der am häufigsten künstlerisch aufgearbeitete US-Präsident der Geschichte sein.
John F. Kennedy liebte die Kunst und  - vielleicht mehr noch, er liebte die Künstler. Sein Lieblingskünstler war der Dichter Robert Frost. ihm vertraute er auch das Schreiben eines Gedichtes anlässlich seiner Vereidigung an.
Es beginnt mit:
Künstler einzuladen, auf dass sie teilhaben mögen
an den grossen Ereignissen des Staates. 
Dies ist etwas, das wir Künstler feiern sollten.
Heute ist für meine Sache der Tag der Tage.
Und so lobpreise ich auf altmodische Weise
jenen, der als erster an so etwas dachte.

(Gemeint ist JFK, der zu seiner Inauguration insbesondere viele Künstler einlud).

Kennedy war bekannt dafür, dass er auch und gerne Bücher von noch völlig unbekannten Autoren las und Gemälde von ebenso unbekannten Malern kaufte. Manchmal verschenkte er diese auch recht schnell wieder. Es ging es ihm wohl vorranging darum, dass der Künstler etwas hatte verkaufen können  - und zwar an den Präsidenten. Ein Präsident, der auch mal ein fotokopiertes Fanzine erwarb und stets Interesse für Experimente und ungewöhnliche Ausdrucksformen zeigte. Das gab es vorher noch nie. Es machte ihn in der Welt der 60er Jahre Kunstavantgarde zu etwas ganz Besonderem.
 JFK liess sich gerne malen und zeichnen. Und so kam bald sehr viel "JFK-Art" in den Umlauf. Manchmal sehr gelungene Werke und manchmal auch etwas weniger gelungene - stets aber lebendige, inspirierte Kunst.  Er war eine begeisterte Muse, willig posierend für jeden, der sich mit ihm wie auch immer auseinandersetzen wollte.

Als kurz nach Amtsantritt die ersten Karikaturen von ihm in der Zeitung erschienen, bestellte er die Karikaturisten zu sich ins Weisse Haus. Er baute sich vor den staunenden Zeichnern auf und sagte: "Schaut! SO sehe ich aus! Etwas schlanker als ihr mich gezeichnet habt und das Haar etwas weniger struppig".

Nein, es war ihm nicht einerlei wie er dargestellt wurde. Eine verspielte Eitelkeit bewog  ihn immer wieder,  die Nähe malender Hände zu suchen. Es verursachte bei ihm zuweilen heftige Gefühle der Kränkung, wenn eine Darstellung aus seiner Sicht zu spöttisch, würdelos oder einfach nur dümmlich und lieblos war. Er gab dann offenherzig zu verstehen, dass ihn das verletzte.

Aber nie rief er nach Zensur oder versuchte er, Kraft seiner Macht eine Darstellung zu verhindern. Sein Motto war stets: "Du hast das Recht mich zu kritisieren, aber ich habe auch das Recht zu sagen, was mir nicht gefällt."
Und das tat er auch. Ausgiebig, kreativ und mit unverhohlener Lust. Mit seinem beissendem Humor, dem typischen "Kennedy-Stil" war er selber so etwas wie ein Künstler. "Es ist doch gar nicht wahr, dass ich anlässlich des Staatsbesuches bei Premier Diefenbaker (Kanada) heimlich "Arschloch" auf ein Papier gekritzelt habe. Erstens bin ich nicht so blöd und zweitens kannte ich ihn damals ja noch gar nicht so gut."

Dass er dann mal "Alle Geschäftsleute sind Arschlöcher" gesagt hatte, dazu stand er indes. Die so Gescholtenen reagierten ihrerseits teilweise mit Humor, in dem sie  bei Wirtschaftskongressen einen Button mit der Aufschrift "Mitglied im Arschloch-Club" trugen.

Einmal hielt er eine Rede vor führenden Wirtschaftskapitänen. Er sagte "Sie haben mich eingeladen, weil Sie mich fälschlicherweise für den Sohn meines Vaters halten. Nun, ich werde die halbe Stunde, für die Sie mich bezahlt haben, eben durchhalten, dann gehe ich."

Man stelle sich eine dermassen schnoddrige Rede heutiger Staatsmänner- und Frauen vor!

JFK war stolz darauf, keinerlei Lobby zu dienen - mit einer Ausnahme, wie er selber sagte: Die der Milchtrinker. Leidenschaftlich missionierte er für den Konsum von Frischmilch und trank oft demonstrativ auf Pressekonferenzen ein grosses Glas davon.

Manchmal wurde der Hofstaat im Weissen Haus von seinen Schreien am frühen Morgen geweckt, die er gepeinigt von heftigen Schmerzen und Durchfall ausstiess. Es stellt sich aus heutiger Sicht die traurige Frage, ob nicht seine geliebte Milch daran schuld war.

Er selbst suchte vermutlich gar nicht mehr nach den Ursachen seiner zahllosen Krankheiten, es waren derer einfach zu viele. Schon in den dreißiger Jahren hatten ihm Ärzte prophezeit, wegen des Morbus Adddison nur noch ein Jahr zu leben zu haben. Dass es dann doch mehr wurden, verdankte er der Erfindung des Kortisons. Trotzdem lebte JFK sein Leben auf Abruf, war ein "Toter mit Bewährung".

Dieses stete Wandeln zwischen dem Dies- und dem Jenseits trug ebenfalls zu seiner ganz speziellen Aura des "Über-dem-Tod" Stehens bei. Er dachte in Dimensionen weit über sein irdisches Dasein hinaus und empfand die Zeit als einen Zustand reiner Wandlung. "Die Gegenwart existiert nicht. Da ist nur Vergangenheit, die zur Zukunft wird."

Seine Entrücktheit, die Todessehnsucht und die Hingabe an die eigene Endlichkeit verleihen ihm auch aus künstlerischer Sicht einen besonderen Reiz.  Er ist ein Wanderer zwischen den Welten, der so gut wie jede Rolle annehmen kann und  überall zu Hause ist.

John F. Kennedys Rede, die er anlässlich des Todes von Robert Frost am Amherst College, am  26. Oktober, 1963 hielt - also knapp einen Monat vor seinem eigenen Tod -  gehört zu dem wunderbarsten, was je über Kunst und Künstler gesagt wurde. Nie fühlte ich mich tiefer verstanden als durch diesen Text. Manchmal, wenn der Schmerz der inneren Einsamkeit mich zu erdrücken droht, lese ich die Schlüsselsätze durch:    
"The artist, however faithful to his personal vision of reality, becomes the last champion of the individual mind and sensibility against an intrusive society and an officious state. The great artist is thus a solitary figure. "
Dieser Satz allein fasst zusammen, was mein Leben ausmacht.
Und:
"I see little of more importance to the future of our country and our civilization than full recognition of the place of the artist. If art is to nourish the roots of our culture, society must set the artist free to follow his vision wherever it takes him."
Dass einmal ein US- Präsident gesagt hat, dass ich meinen Visionen folgen soll und dass es für ihn kaum etwas Wichtigeres gibt , als die Anerkennung des Künstlers,  ist Halt und Trost von unermesslicher Kraft.  JFK ist somit nicht nur Muse, er ist auch Verbündeter des Künstlers in dessen Einsamkeit. Diese Rolle  - wenngleich nur eine von vielen, die er inne hat - ist für mich persönlich seine vornehmste und schönste.
Robert Frost hat am Vereidigungstag sein Gedicht nicht vorlesen können. So sehr blendete die gleißende Sonne im frischen Schnee jenes 21. Januar 1961, dass der Dichter die getippten Worte auf dem Papier nicht erkennen konnte. Er trug daher ein älteres Gedicht vor, eines das er auswendig wusste. Die Zeit war noch nicht reif für diese Gedankenwelt.
Die Rede ist hier nachzulesen: http://arts.gov/about


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